Titelschrift RoteSchnur

Schriftzug Extras  Purpurwort von Paul Celan    Schriftzug Coronagold     Freiheit und Kirche, Schriftzug Coronablau     Insta   Kontakt  





















Heimat seit dem Neolithikum

Die Bedeutung der Heimat für die Menschen in der neolithischen Revolution / Teil 1 /  Dieser Artikel wurde veröffentlicht am 2019mai17

Cranach's Schlange und der Auszug aus der Heimat

Eine Schlange mit Flügeln und mit einer Krone auf dem Kopf ist das Wappen und die Signatur der Künstler-Familie Cranach in Wittenberg in der Reformations­zeit, weit, weit weg vom Neolithikum. Wie kann eine christliche Künstler­familie eine gekrönte und geflügelte Schlange zu ihrem Wahrzeichen wählen, wo doch in der christlichen Tradition die Schlange ziemlich häufig als Symbol für das Böse gewertet wird?

"Der Schlängel aber war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott JHWH gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Sollte Gott gesagt haben, ihr dürft nicht essen von allen Bäumen im Garten? Da antwortete die Frau dem Schlängel: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten, nur von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esst nicht davon und rührt sie nicht an, dass ihr nicht sterbt. Da sprach der Schlängel zur Frau: Ihr werdet überhaupt nicht sterben, sondern Gott weiß, sobald ihr davon esst, werden euch die Augen aufgehen und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist." So beginnt im 1. Buch Mose die Geschichte vom Sünden­fall und das Unheil nimmt seinen Lauf.

Kuenstlerzeichen-Lukas-Cranach

Die geflügelte und gekrönte Schlange mit dem Ring im Maul, Signatur des Künstlers Lukas Cranach

Die Vertreibung aus dem Paradies könnte ein guter Trailer sein für die neolithische Revolution

Der Mensch will Gott sein, will selber machen, will Pflanzen "machen", Tiere "machen", anstatt nur zu essen, was Mutter Natur ihm schenkt. Mehr als dem Menschlein schon gegeben war im Paradies an Herrschaft über die Mit­geschöpfe, möchte er noch höher stehen, noch mehr herrschen. Das Menschlein möchte selber produzieren, schöpferisch tätig sein. Ist das nicht gut? Du könntest sein wie Gott, so lautet die Verführung. Wir tun mal so naiv, so fortschritts­gläubig, wie die neolithische Revolution lange gesehen wurde und größtenteils noch immer gesehen wird:
Der Acker­bau bietet sich an als eine geniale Erweiterung der Nahrungs­versorgung. Damit können ganze Städte ernährt werden, nicht mehr nur die kleine Wander­horde im Sammel- und Jagd-Revier. Mit dem neolithischen Bündel aus Sesshaftigkeit, produzierender Landwirtschaft, Keramik und späterer Metall-Herstellung öffnet sich das Tor zu einer neuen Welt. Da geht's lang zur Hochkultur. Mit dem Ackerbau, so seine verführerische Komponente, schwingt sich die Menschheit auf zu einem neuen Zeitalter. Dies wird die Basis für alle folgenden Stufen menschlicher Entwicklung.

Eine etwas kritischere Sicht auf diese Entwicklung entstand nur langsam aus den Erkenntnissen ihrer weniger angenehmen Seiten. Die Archäologen fanden bei den neolithischen Bäuerinnen und Bauern deutlich mehr abgenutzte Knochen und Gelenke als bei den Skeletten aus der Wildbeuterzeit. Die harte Arbeit auf den Feldern scheint den Menschen nicht besonders gut getan zu haben. Die Menschheit wurde kränker im Neolithikum.

Noch weitaus schlimmer wurde für die Mehrheit der Menschen die Herausbildung von reichen und armen Bevölkerungs­schichten und die Hierarchisierung der entstehenden Gesellschaften. Die abgenutzten Knochen der Bevölkerung in Abu-Hureyra könnten mit Klimakatastrophen erklärt werden, als gemeinsamer Kampf ums Überleben. Oder gab es doch schon Unterschiede in der Bevölkerung? Liegt die Erklärung für die kranken Knochen in den neuen gesellschaftlichen Zuständen, mehr als in der bloßen Arbeit auf dem Feld und an den Mahlsteinen? Ab wann gibt es Unterdrückung? Manche Menschen schwingen sich zu Göttern auf, die nicht nur über Pflanzen und Tiere, sondern vorallem über ihre Mitmenschen eine neue Skrupel­losigkeit erlernen. Solange die Menschheit umher­gestreift war, aufgeteilt in kleinen Gruppen, dürfte Herrschaft kaum ein Problem gewesen sein. Alle sind in der Gruppe aufeinander angewiesen. Glück oder Leiden der anderen werden unmittelbar miterlebt und deshalb meistens auch geteilt. Alle Beziehungen geschehen von Angesicht zu Angesicht. Wenn in einzelnen dieser Gruppen ein Böser aufsteht und die anderen drangsaliert, kann die Gruppe das Auge in Auge mit dem Einzelnen kritisieren. Das war das natürliche, um nicht zu sagen das paradiesische Sozialsystem. Dafür war der Mensch, wie andere in Gruppen lebende Säuge­tiere von der Natur gerüstet. Und selbst wenn dies in manchen Fällen nicht gelang, litt unter dem Nicht­gelingen nur diese eine Gruppe. Auch wenn die umher­ziehenden Gruppen jahreszeitlich in einem größeren Quartier zusammentrafen, dann waren es hundert oder ein paar hundert Menschen, die für ein paar Wochen, also auf begrenzte Zeit, miteinander auskommen mussten. Wenn die anderen nerven, dann bricht die Kleingruppe wieder auf zur Wanderung und hat ihre Ruhe. Wenn es in einer Kleingruppe gar nicht mehr zusammenspielt, dann bilden sich halt neue Kleingruppen. In einem großen und offenen Revier kann Trennung als Mittel zur Konflikt-Lösung gut funktionieren.

Die pure Zahl der Menschen verändert schon das Zusammenleben

Durch die neolithische Revolution ändern sich die sozialen Feedbackschleifen drastisch. Es entstehen Dörfer und Städte, in denen bald tausende von Menschen zusammenwohnen. Permanent laufen alle Lebensvorgänge in diesen größeren Sozialzusammenhängen ab. Da hängt das Wohlergehen der Einzelnen und der kleinen Untergruppen völlig ab von der Organisation des Gesamtverbandes. Dafür hat die Natur des Menschen anscheinend keine Regulatoren. Arm und Reich driften immer stärker auseinander, Herrschen und Beherrschtwerden noch mehr. Die "Anderen" sind nicht mehr Gruppenmitglieder auf Augenhöhe, sondern können betrachtet werden als Arbeitstiere, wie Ochs und Esel, oder als Beute wie das Jagdwild. Oder sie werden betrachtet als Lustobjekte zum Vernaschen. Solche Sichtweisen entstehen, wenn Einzelne eine höhere Stellung in einer großen Gruppe gewinnen und nicht mehr auf jedes einzelne Gruppen­mitglied angewiesen sind. Die in den Palästen wohnen, können ihre Augen abwenden vom Elend derer in den Hütten. Die Größe der Volksmenge macht diese verfügbar für die Herrschenden. Die Arbeitskraft der Menge ermöglicht ganz neue Prestigebauten, die Herstellung von Luxusgütern und den Aufbau mehrstufiger Rangordnungen, große Anhäufung von Ehre bei den Einen und Versinken in Schmach bei den anderen. Das "natürliche" Mitgefühl kommt nicht mehr mit in der Massengesellschaft. Das erhebt den Größenwahn Einzelner zu ungeahnten Höhen. Die Volksmenge hat kein Korrekturmittel dagegen, nicht einmal eine eigene Meinung, denn in ihren Wunschträumen nehmen die Kleinen teil am Größenwahn der Großen. Jedes einzelne Menschlein möchte am liebsten selber so sein wie die Mächtigen. Damit fließen alle sozialen, geistigen und emotionalen Energien ziemlich automatisch von den Kleinen, Schwachen, Machtlosen weg und sammeln sich an bei den Großen, Starken, Mächtigen. Das Gefälle in diesem gesellschaftlichen Energie-Fluss-System wirkt auch schon lange vor Erfindung des Privat­eigentums. Ein bisschen Anachronismus kann helfen, sein Weiterwirken bis in moderne Zeiten begreifbarer zu machen: Die Klein­bauern­höfe werden von den Groß­bauernhöfen geschluckt, doch im Bauern­verband, wenn es ihn damals schon gegeben hätte, wäre immer ein Großbauer zum Boss und Vertreter aller Bauern gewählt worden. Die Kleinen phantasieren sich hinein in die Rolle der Großen. Sie identifizieren sich mit ihnen, mit den Starken, mit den Helden, mit den Königen und Pharaonen. Identifizieren heißt: Sie lassen ihre Seelenkräfte denen zuströmen, von denen sie gefressen werden. Mit den Armen identifiziert sich keiner. Die werden missachtet, umso mehr, je schlechter es ihnen geht. Das Mit­gefühl war natürlicher­weise trainiert für den kleinen Kreis der Gruppe. Noch nicht erfunden waren solche Gefühle wie das Mitleid und die Solidarität für die Nicht-so-nahe-stehenden, für Nicht-familien­angehörige, für Nicht-Brüder, für Nicht-Schwestern. Selbst wenn von Biologen und Verhaltensforschern nachgewiesen wird, dass das Mitgefühl und entsprechende Verhaltensweisen schon bei Tieren vorkommen, dann bezieht sich das nur auf kleine Gruppen. In der direkten Begegnung zweier Lebewesen mag viel Gutes als ganz natürlich erscheinen, aber die im Neolithikum entstehenden Großgesellschaften sind nicht mehr "natürlich". Die Masse ist etwas Neues. Die Macht über Volksmassen ist etwas Neues. Die Menschheit hatte keine geistigen Instrumente zur Kritik geschweige denn zur Kontrolle der Mächtigen. Moral als Gegengewicht zur Macht, woher hätte sie kommen sollen? Gerechtigkeit? Was für ein unzeitgemäßer Begriff. Die Stärksten, alias Größen­wahn­sinnigsten hatten freie Bahn. Den Letzten beißen die Hunde und die Angepassten im Mittel­feld über­leben, aber auch nur vielleicht und irgendwie. Ist das der Lauf der Dinge jenseits der Natur? Oder ist diese Sicht auf's Neolithikum zu dramatisch und zu pessimistisch? Sie ist nur eine kleine Gegen­bemerkung zur allgemeinen Fortschritts­begeisterung. Die Erfindung des Ackerbaus muss nicht unbedingt als genialer Forschritt interpretiert werden, sondern könnte auch ein Fluch sein, eine Strafe Gottes. Deshalb werden die Fortschritts­gläubigen den hier vorgeschlagenen Trailer unter dem Titel "Sündenfall" wohl nicht so mögen.

Es gibt immer auch andere Wege

Der beschriebene Sündenfall ereignet sich nicht automatisch. Es ist kein düsteres, unvermeidliches Schicksal, sondern es ist eine Gefahr, ein Irrweg, eine Erfahrung. Dass der Mensch die Grenzen der Natur dabei war zu über­schreiten, hatte er noch nicht begriffen. Sein eigenes Tun überstieg seinen nur an der Natur geschulten Denk­horizont. Dass er zusätzlich zur Natur nun auch "Kultur" brauchen würde, um sich selbst und seinen Größen­wahn zu kontrollieren, konnte er nicht wissen und weiß es bis heute nicht so richtig.

fruehneolithische-Siedlungen

Flächen-Vergleich Frühneolithischer Siedlungen. Ein kleiner Anfang der Großgesellschaft. Wieviele Menschen sind gut für den Menschen?

Abu Hureyra oder Çatal Höyük, ist das die Wahl?

Wo ist die Menschheit in diesen Irrweg hinein gelaufen, wo ist sie bessere Wege gegangen? Abu Hureyra war eine der größten Siedlungen des frühen Neolithikums. Dort haben Andrew Moore und seine Kollegen jene Knochen ausgebuddelt, die von zu schwerer Arbeit verunstaltet waren. Çatal Höyük war ziemlich genauso groß wie Abu Hureyra. In Çatal Höyük waren die Ausgräber überrascht, dass so eine große Siedlung so egalitär sein könne. Keine Macht für niemand? War Çatal Höyük ein Paradies? Aber der berühmteste Fund aus dieser Stadt ist die dicke Dame auf dem Leopardenthron: Unschuldige Tierliebe oder pure Machtlust? Beide Ausgrabungs­stätten streiten sich mit Jericho um den Titel "älteste Stadt der Welt". Der Titulaturen-Ehrgeiz interessiert uns hier nicht, aber wie die Menschen dort lebten und was ihnen zum Leben geholfen hat durchaus. Waren Abu Hureyra und Çatal Höyük zwei verschiedene Wege? Oder sind nur die Blickwinkel der jeweiligen Ausgräber unterschiedlich? Çatal Höyük war der Liebling der Matriarchatstheorie. Stimmt das noch und ist Frauenmacht der humanere Weg? Ist verstärkte Knochenabnutzung ein Vorbote des Patriarchats? Wo beginnt die Hierarchiebildung in den neolithischen Gesellschaften, wo die Tyrannei?

Goettin-auf-dem-Leopardenthron_cc-by-sa-2.5_Wikipedia-User_Roweromaniak>

Tonfigur aus Çatal Höyük. Eine Göttin ohne Macht? Foto von Roweromaniak, cc-by-sa 2.5

Heimatverlust

Wenn der Acker­bau als die nach-paradiesische Lebens­weise beschrieben wird, dann müsste das Paradies in der Jäger-und-Sammlerinnen-Zeit liegen. Ob die Jäger und Sammlerinnen sich wie im Garten Eden fühlen, soll damit nicht entschieden werden, aber die Sesshaft­werdung könnte paradoxerweise für die Menschheit den Verlust von Heimat bedeutet haben. Eine über viele Jahr­tausende währende Lebens­weise wird verlassen, das "natürliche" Dasein als Wild­beuter wird aufgegeben. Früher haben sie genommen, was die Natur ihnen bot, haben gelebt von der Hand in den Mund. Die Erdlinge, zumindest viele von ihnen, werden nun sesshaft, betreiben Ackerbau, binden sich an die Scholle, anstatt frei durch Steppen und Wälder zu streifen. Wie kann man jahrtausendealte Gewohnheiten hinter sich lassen? Wenn du alles ändern kannst, woher willst du wissen, welche Zukunft die gute sei? Welche Schlange führt zu welchem Baum der Erkenntnis? Welcher Schlängel mit welchen verführerischen Versprechungen hat diesen großen Umzug ausgelöst und bekommt dafür seine bis dahin vorhandenen Beine abgenommen? Fortan im Staub zu kriechen ist die Strafe für die Schlange. Die Flügel an Cranach's Schlange, soll das die Heilung sein für die abgeschnittenen Beine? Etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden! Werden wir?

Die biblische Erzählung vom Sünden­fall war wohl nicht das Motiv für Lukas Cranach, seine aufstrebende Künstler-Werkstatt, sein erfolgreiches Familienunternehmen mit einer geflügelten Schlange zu besiegeln, noch weniger wird er geahnt haben, welche modernen Über­legungen zur neolithischen Revolution daran geknüpft werden können, aber Cranach's Schlange erinnert an die Schlangen auf den Laren-Altären der alten Römer. Die sind zwar immer noch weit weg vom Neolithikum, aber immerhin schon viermal so alt wie das Künstler­zeichen und noch viel stärker als dieses mit uraltem Religionsgut befrachtet. Und diese Laren, diese Haus- und Ahnen-Götter haben sehr viel mit dem zu tun, was die Römer als "Heimat" empfanden.

Heimat seit dem Neolithikum

nurkante

noch kein Text

geradeaus weiter
nurkante

noch kein Text

nach rechts