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Das Druidentum und die keltische Religion haben einige sehr seltsame Spuren hinterlassen, die die frühmittelalterliche Geschichte in ein mysteriöses Licht tauchen und auch für die Art der Christianisierung ungewohnte Fragen aufwerfen. / Teil 1 /  Dieser Artikel wurde veröffentlicht am 17.Okt.2022

Kelten und ihre Tonsur

Quer zum Kopf trugen die keltischen Druiden ihre Tonsur und ebenso machten es die weltberühmten christlichen Mönche aus Irland und den anderen keltischen Gebieten, zum Beispiel der heilige Columban von Iona (521–597 n.Chr.). Um diese Haartracht zu schneiden, wurde ein Gürtel quer über den Kopf gelegt, von einem Ohr zum andern, so ähnlich wie eine Kieferbinde beim frisch Verstorbenen, nur dass die Aufmerksamkeit der oberen Hälfte des Hauptes gewidmet war. Die Haare, die der Gürtel bedeckte, durften stehenbleiben, alles außerhalb davon, also Vorderschädel und Hinterhaupt wurden kahlrasiert. Diese Art der keltischen Mönchsfrisur war aber höchst umstritten in weiten Teilen der mittelalterlichen Kirche, denn hinter ihr stand die alte, heidnische Tradition. In den paganen Druidenschulen waren so die Köpfe rasiert worden, schon viele Jahrhunderte bevor das Christentum auf der Bildfläche der keltischen Völker erschien. Den nicht-keltischen Christen aus anderen Regionen musste diese Frisur fast wie ein Bekenntnis zu einer heidnischen Religion erscheinen, auch und gerade weil es christliche Mönche waren, die sie trugen. Interessanterweise wurden aber in der Polemik gegen die iroschottische Tonsur nicht die Druids und Filids als deren heidnische Quellen angegriffen, wie es naheliegend und wohl auch beweisbar gewesen wäre, sondern es wurde stattdessen ein fiktiver Verdacht aufgestellt: Der Zauberer Simon aus Samarien, nach einer Erzählung in der Apostelgeschichte, Kapitel 8, sei der Urheber dieses Haarschnitts. Das war kein Argument, sondern üble Beschimpfung. Mit jenem Simon hatten die keltischen Christen bestimmt nichts am Hut gehabt. Sie kannten ihn auch nur aus ihrer Bibellektüre. Ihre Frisur stammte von weitaus älteren Modellen und kam nicht aus Samaria. Warum benannten die Kritiker des keltischen Christentums nicht direkt dessen heidnische Hintergründe? Stattdessen diffamierten sie die irischen Mönche durch so eine an den Haaren herbei gezogene Ersatzfigur wie jenen samarischen Simon? Warum durfte über das druidische Erbe der iroschottischen Mönche nicht offen und sachlich diskutiert werden? Die Tonsur war nur das offensichtlichste Teil dieses Erbes. Und warum stritten sich intelligente, gebildete Menschen über Friseursfragen?

modernes Foto ein junger Mann mit verbundene Augen rasiert sich den Kopf

Rätselraten um eine sehr alte Frisur. Was steht hinter dem Tonsuren-Konflikt? Modernes Foto von Altin Ferreira aus einem anderem Zusammenhang.

Tonsur und Initiation

Ginge es nur um Frisurenmode, wäre der ganze Konflikt höchstens noch witzig, die Heftigkeit und Langwierigkeit der Auseinandersetzung von der Spätantike bis tief ins Mittelalter zeigen aber, dass hier tiefverwurzelte religiöse Traditionen im Spiel waren. Die Art der Rasur ist Bestandteil der Initiationsrituale, gehört also zum Kerngebiet der Religion. Und hinter der Tonsur standen die Klöster, die nach allem, was von ihnen überliefert wurde, als christianisierte Druidenschulen anzusehen sind. Der Tonsurenstreit war über ein halbes Jahrtausend lang ein wichtiges Thema bei der Formierung des christlichen Abendlandes.

Die iroschottischen Mönche

Die iroschottischen Mönche, die zwischen 500 und 700 n.Chr. als christliche Missionare große Teile Europas durchwanderten - auch die noch relativ neuen Reiche der Germanen -, waren keltisch kultiviert. Einige ihrer legendären Namen sind:
Arbogast (550-618, missionierte im Elsass), Fridolin von Säckingen (missionierte am Oberrhein, starb 538), Landolin (aktiv im Elsass bis zu seinem Tod um 640), dessen Namensvetter Landolin von Crespin (gründete Klöster in Belgien, starb 686), Gallus (missionierte im Bodensee-Raum, starb wohl im Elsass um 640) und Kilian (640-689, missionierte in Würzburg). Die Liste ihrer Namen wäre noch viel länger, aber da viele eben nur als Legenden überliefert sind, ist ihre Existenz in der offiziellen Geschichtsschreibung oft mit irgendwelchen Fragezeichen versehen. Da war eine große, historische Bewegung, da wurde von mysteriösen Gestalten eine kulturelle Umwälzung vollbracht, aber es lässt sich nicht nachweisen, wer sie waren und aus welcher Kraft sie handelten. Diese Heiligen trugen die druidische Tonsur (in Irland bezeichnet als "airbacc giunnae") und magische, druidische Gegenstände gehörten zu ihrer Ausstattung. Als geistiges Werkzeug neben dem Evangelium kamen besonders die Krummstäbe (Crocier) und Handglocken (Clocha) zum Einsatz.

Eine keltische Handglocke aus Bronze, 6.Jahrhundert, Bretagne, Cloche de Saint Pol de Leon Krummstab aus Clonmacnoise, Crocier, Zeichnung aus Margaret Stokes 1900 Early-Christian-Art-in-Ireland Book of Durrow, Menschengestalt als Symbol des Matthaeus-Evangeliums, mit keltischer Tonsur, Ansicht von vorne

Drei Bilder vom Werkzeug iroschottischer Mönche:
1. Knauf eines keltischen Krummstabs aus dem Kloster Clonmacnoise, Zeichnung aus Margaret Stokes: Early Christian Art in Ireland. Großes Bild 1,3 MB
2. Eine Seite aus dem Book of Durrow, Menschengestalt als Symbol des Matthaeus-Evangeliums, mit keltischer Tonsur. Großes Bild 1 MB
3. Eine keltische Handglocke aus Bronze, 6.Jahrhundert, Bretagne, Cloche de Saint Pol de Leon. Großes Bild 1,2 MB

Die prachtvollen Bibelhandschriften dieser christlichen Druiden-Mönche waren in wunderschönen keltischen Drachenmustern geschmückt und für manche ihrer Rituale bemalten die heiligen Gottesmänner ihre Augenpartie mit schwarzer oder roter Farbe, ganz nach Druidenart. Der kahlgeschorene Vorderschädel soll zu manchen Anlässen mit einem Blattgoldbelag hervorgehoben worden sein und bei Konflikten belegten sie sich schon gelegentlich mit magischen Verfluchungen. Viele heutige Christen wären entsetzt, würden sie beim sonntäglichen Waldspaziergang einem solchen Missionar begegnen, aber in jenen Jahrhunderten waren die iroschottischen Mönche die tragende Kraft der christlichen Zivilisation im größten Teil Westeuropas. In Finnians Kloster Clonard wurden dreitausend Studenten gleichzeitig ausgebildet. In Clonmacnoise lehrte und schrieb Ciaran, nachdem er sieben Jahre als Einsiedler auf der Insel Inishmore (Árainn Mhór) gelebt hatte. Kildare (gegründet von Brigida 470 n.Chr.), Lindisfarne (635-875), Iona (gegründet 563) und etliche weitere Klöster waren Leuchttürme der christlichen Kultur. Die keltischen Christen waren aktiv in der Liturgie, in der Buch- und Kunst-Produktion und in der Entwicklung eines eigenen Diskussionsstils . Irland galt europaweit als die Insel der Heiligen und der Gelehrten. Für die weitere Entwicklung der Staatlichkeit mögen die germanischen Reichsgründungen der Schlüssel sein, aber der religiöse Motor Europas, der Antrieb für ein neues Zeitalter, arbeitete auf den Inseln.

Augenpartie verschiedener Menschen mit Bemalung

Fotomontage: Etwa so dürfte der visuelle Eindruck gewesen sein, den iroschottische Mönche ihren Zeitgenossen zugemutet haben. Diese GIMPage aus verschiedenen Fotos steht zur Verfügung unter cc-by-sa 4.0 int. Namensnennung: RoteSchnur.de.

Der Tonsurenstreit, eines der wichtigsten Themen im frühen Mittelalter

Ob die Tonsur der Mönche und Priester nach Druidenart oder auf römische Weise geschnitten werden sollte, zog sich als Streit über Jahrhunderte durch's frühe Mittelalter. Vom Festland und von England her wurde mächtig auf die einheitliche Frisur der Geistlichkeit gedrängt. Irland und Schottland aber standen für die druidischen Traditionen in ihren christlichen Klöstern. Colman, der Abt von Lindisfarne, verteidigte auf der Synode von Whitby 664 n.Chr. vehement die druidische Tonsur. Im Kloster Iona wurde diese bis 718 praktiziert. Im Canon Hibernensis (735 ? n.Chr) findet sich noch die Diskussion über die Tonsuren und Gildas wird zitiert, dass die keltische Tonsur bei den irischen Geistlichen üblich sei. Der Tonsuren-Streit beweist nicht nur die durchgehende Verbundenheit der irischen Mönche mit den druidischen Traditionen, sondern zeigt auch, wie mühsam die Kirche des Westens ihre unterschiedlichen Strömungen zusammenführen musste. Eine einheitliche, römisch-katholische Kirche mit vatikanischer Zentralgewalt lag noch weit entfernt in einer Zukunft, die sich die irischen Mönche nie hätten träumen lassen, und die dann auch nicht von den innerchristlichen Diskussionen, sondern von germanischen Königen und ihren Reichsgelüsten bestimmt wurde. Die späteren Klischees von einem souverän herrschenden Papst verstellen nur den Blick auf die iroschottischen Jahrhunderte der westlichen Christenheit. Schon die Verpflichtung zur Einheitlichkeit der Kirche war keine christliche Idee, sondern stammte aus dem Kontrollbedürfnis der spätantiken Kaiser. Innerhalb des Imperium Roman, oder was davon übrig war, setzte sich die Vereinheitlichung durch, außerhalb ging das nicht so schnell. Mit Jahrhunderten an Verspätung wurde dann auch gegen Irland erheblicher moralischer Druck aufgebaut, um die "falsche" Frisur zu bekämpfen. Der Energieaufwand ihrer Feinde ist Zeuge für die lange weiterwirkende Stärke der Druiden. Bis heute sind Quellen nicht ganz einfach zu finden, die für diese Tonsur Partei ergreifen und ihr Aussehen genau beschreiben. Daher kommt wohl die Unsicherheit ihrer Rekonstruktion. Oft wird sie nur mit der Formel "von Ohr zu Ohr" charakterisiert und diese Formel lässt sich unterschiedlich deuten. Wie genau wurden die Köpfe rasiert? Trotz aller Versuche, die Stimmen seiner Befürworter zu verdrängen, lässt sich inzwischen zumindest das Aussehen des rituellen Haarschnitts recht eindeutig bestimmen. Im Jahr 1943 n.Chr. wurde in Tschechien der Druidenkopf gefunden, der in Stein gemeiselt, das richtige Aussehen der keltischen Tonsur uns zu wissen gibt (siehe nächste Seite: Kelten und ihre Initiation). Die Bedeutung des Rituals und sein kritisches Potential liegt, so glaube ich, nicht in einer romantisierten Nachahmung der druidischen Mönche, sondern in einem besseren Verstehen der Geschichte. Zunächst aber hatten die imperialen Kräfte ihren Erfolg: Nach der Invasion der Normannen wurden in der Synode von Cashel 1172 n.Chr. die Riten und Regeln der Inseln endgültig den römischen angepasst. Doch selbst dann noch trug der Orden der Culdeer die druidisch-christliche Tradition bis in nachmittelalterliche Zeiten.

Die offizielle Corona-Frisur

Die offizielle römische Vorschrift für die Haartracht mittelalterlicher Mönche war die Corona. Die Frisur heißt wirklich so. In der Mitte des Kopfes wurde eine kreisrunde Stelle glattrasiert, während außenherum ein Haarkranz (= "Krone" = "Corona") stehenblieb. In den Argumentationen für den römischen Stil wird die Corona-Tonsur als Darstellung der Dornenkrone Jesu bei seiner Kreuzigung interpretiert und der Apostel Petrus als ihr Urheber behauptet. Auch Petrus diente in diesem Streit nur als Symbolfigur für die eine Partei, wie Simon von Samaria für die andere. Ob diese offizielle Mönchsfrisur vielleicht nur erfunden wurde, um den keltischen Traditionen etwas entgegen zu setzen, oder ob es andere Traditionsstränge schon länger gab, oder ob einfach der historische Petrus eine natürliche Glatze in Coronaform hatte, ist nicht mehr sicher festzustellen. In den biblischen Büchern gibt es jedenfalls keine Vorschrift zum Tonsurenschnitt. Beide Tonsuren stammen wohl aus nichtchristlichen Traditionen, waren aber für die Fortführung des Christentums von der Spätantike ins Mittelalter von größter Bedeutung. Der Tonsurenstreit zeigt (quasi als Spitze des Eisberges) die kulturellen Grundströmungen, die um die Gestaltung des christlichen Westens im Clinch miteinander lagen.

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