© Paul Celans Gedicht mit freundlicher Genehmigung der S. Fischer Verlag GmbH. Für die zitierten Bibeltexte © Deutsche Bibelgesellschaft. Meine Texte drumrum und dazwischen sind verfügbar unter der Lizenz cc-by-sa 3.0 de, das heißt: Namensnennung (= RoteSchnur.de) und Weitergabe unter gleichen Bedingungen.
Purpur Farbglaskunst von Gisela Sternstein
Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm,
niemand bespricht unsern Staub.
Niemand.
Ihr müsstet jetzt vielleicht schon die Doppelbedeutung verstehen. Die eine Aussage ist: Da ist kein Gott, der die Ermordeten wieder lebendig macht, sondern da ist Leere. Da ist Entsetzen und Verzweiflung und Trauer über Millionen Tote. Da ist das Alleingelassensein. Verlassen im Leiden. Niemand war da um zu helfen, um zu retten.
Das Wort "Niemand" ist sehr wohl atheistisch gemeint in dieser ersten Bedeutung. Es ist ein bitterer Angriff auf Gott, ihn als "Niemand" zu bezeichnen. Wo warst Du, Niemand, als gemordet wurde? Wo bist Du jetzt, Niemand, im Schmerz danach? Es ist Atheismus auf der einen Seite, in der einen Schicht von Bedeutung. Ihm Vorwürfe zu machen, diesem Niemand, der sich im Nichts versteckt, ist aber schon wieder eine Art zu Beten. Das ist die andere Seite.
Da ist nämlich auch die verrückte Tatsache des Lebens. "Achtet dieses nicht gering" hatte Schalom Ben-Chorin geschrieben. Und schon das Fühlen des Entsetzens, der Verzweiflung und der Trauer, bezeugt das Leben. Das Leben gering zu achten, war das Treiben der Mörder. Da machen wir nicht mit. Wir stellen uns nicht auf die Seite der Mörder. Auf welcher Seite stehst Du, Niemand? Das Wort "Niemand" ist mystisch gemeint als zweite Bedeutung, als eine Umschreibung für die unverständliche Seite Gottes.
Niemand ist Gott. Hört diesen kurzen Satz in beiden Bedeutungen, atheistisch und mystisch. Und hört noch eine dritte Bedeutung: Kein Mensch soll sich anmaßen, Gott zu sein. Niemand ist Gott. In dieser dritten Bedeutung ist es eine Moral gegen die Mörder.
Gelobt seist du, Niemand.
Dir zulieb wollen
wir blühn.
Dir
entgegen.
Die Verehrung des Starken und Gesunden wird leicht zum Götzendienst. Ideale werden destruktiv, weil sie das reale Leben gering achten. Die Ideologie der Nazis war ein Gieren nach Macht, in der Verblendung, das sei das Leben. Das Leben ist anders. Das Leben ist keine Vergötzung von stark und gesund. Das Leben ist nicht auf der Seite der Mächtigen. Sondern das Leben ist empfindlich, verletzlich, vergänglich, wo es am lebendigsten ist.
Ein Nichts
waren wir, sind wir, werden
wir bleiben, blühend:
die Nichts-, die
Niemandsrose.
Dürfen das auch normale Erdlinge sagen, dieses "wir"? Sind wir das? Oder sind das ausschließlich Worte von und für Juden? Ist es das Vorrecht der Erwählten, die Nichts-, die Niemandsrose zu sein?
Purpur Farbglaskunst von Gisela Sternstein,
größere Teilansicht
Mit
dem Griffel seelenhell,
dem Staubfaden himmelswüst,
der Krone rot
vom Purpurwort, das wir sangen
über, o über
dem Dorn.
PAUL CELAN 1961
Wir lassen einige Worte von Paul Celan unbeantwortet stehen. Ihr dürft Euch fragend wundern über "seelenhell" und "himmelswüst", aber zum "Purpurwort" lesen wir ein paar Sätze. Und Ihr prüft, welches der folgenden Purpurworte am ehesten die Krone rot gefärbt haben könnte. Welche Krone? Mit welchem Rot?
Das Heilige Zelt sollst du machen aus zehn Teppichen von gezwirntem feinem Leinen, von
blauem und rotem Purpur und von Karmesin. Cherubim sollst du einweben, wie es ein Kunstweber
macht.
2. Buch Mose Kapitel 26 Vers 1
Kleine Hilfe dazu: Das Heilige Zelt war die Darstellung der Wohnung Gottes bei den Menschen. Es bedeutet etwa: Gott ist bei uns. Dafür wurde der künstlerische Aufwand getrieben.
Die früher leckere Speisen aßen, verschmachten jetzt auf den Gassen; die früher
auf Purpur getragen wurden, die müssen jetzt im Schmutz liegen.
Klagelieder Kapitel 4 Vers 5
Kleine Hilfe dazu: Es ist ein Katastrophenszenario aus den Klageliedern Jeremias. Der Kontrast wird dargestellt vom Wohlstandsleben zur Katastrophe.
Mordechai aber ging hinaus von dem König in königlichen Kleidern, blau und weiß,
und mit einer großen goldenen Krone, angetan mit einem Mantel
aus Leinen und Purpurwolle. Und die Stadt Susa jauchzte und war fröhlich.
Buch Esther Kapitel 8 Vers 15
Kleine Hilfe dazu: Mordechai war eine Schlüsselfigur bei der Rettung der Juden vor Verfolgungen im persischen Reich.
Ein Rollsiegel aus dem persischen Reich und dessen Abdruck,
Britisch Museum 23387001 CC BY NC SA 4.0
Seht ihr den Mordechai und das Jauchzen der Stadt Susa?
Du kennst noch eine weitere Bibelstelle mit einem Purpurmantel und einer ungewöhnlichen Krone. Erinnere Dich oder lies nach in einem der Evangelien eher gegen Ende. Purpur gilt auch als die Farbe geronnenen Blutes. Matth.27, Joh.19
Die Abbildungen der Farbglaskunst von Gisela Sternstein gehören zu einem Ensemble dessen Hauptteil die Geschichte von der Offenbarung Gottes im 2. Buch Mose Kapitel 3 darstellt.
Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt ...
PSALM
Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm,
niemand bespricht unsern Staub.
Niemand.
Gelobt seist du, Niemand.
Dir zulieb wollen
wir blühn.
Dir
entgegen.
Ein Nichts
waren wir, sind wir, werden
wir bleiben, blühend:
die Nichts-, die
Niemandsrose.
Mit
dem Griffel seelenhell,
dem Staubfaden himmelswüst,
der Krone rot
vom Purpurwort, das wir sangen
über, o über
dem Dorn.
PAUL CELAN 1961
Der brennende Dornbusch, Farbglaskunst von Gisela Sternstein, Foto Harald Küstermann
© Paul Celans Gedicht mit freundlicher Genehmigung der S. Fischer Verlag GmbH. Für die zitierten Bibeltexte © Deutsche Bibelgesellschaft. Meine Texte drumrum und dazwischen sind verfügbar unter der Lizenz cc-by-sa 3.0 de, das heißt: Namensnennung (= RoteSchnur.de) und Weitergabe unter gleichen Bedingungen.