Titelschrift

Küstermann



Predigt

Menue-Symbol   Predigten 

Genesis 32 »» Exodus 14 »» Deuteronomium 8, 7-18 »» Psalm 150 »» 1. Buch Samuel 3, 1-10 »» 1. Buch Könige 19 »» Jesaja 40, 26-31 »» Matthäus 21 »» Markus 2,1-12 »» Markus 8,31-38 »» Markus 8,34-35 »» Johannes 17, 1-8 »» Johannes 21, 1-14 »» Apostelgeschichte 17, 22-34. »» Römer 8, 26-30 »» Römer 10, 8-15 »» 1. Korinther 15, 12-28 »» 1. Petrus 5, 1-4 »» 1. Petrus 2, 21-25 »» 1. Johannes 4, 16-21. Gott ist Liebe »»


Erzählung von der Verhaftung

Predigt zu Lukas 22, 47 bis 53

Liebe Gemeinde,
normalerweise kann eine Erzählung verstanden werden, indem die Zuhörenden sich mit der Identifikationsfigur identifizieren, also indem sie einen Teil ihrer Zuhörer-Seele hineingeben in die erzählte Geschichte. Sie erleben das Erzählte aus der Perspektive dieser Hauptperson. Wenn diese in Gefahr gerät, haben die Zuhörenden Angst, wenn der Hauptperson etwas zustößt, werden die Zuhörenden traurig, wenn ihr Glück widerfährt, empfinden die Zuhörenden glückliche Gefühle und wenn die Hauptperson triumphiert, fühlt sich das auch für die Zuhörenden triumphal an. Immer ist ein Teil der Seele der Zuhörenden in die Erzählung verwickelt und am Ende bekommen sie ihren hineingegebenen Seelenteil zurück, bereichert um all die Erfahrungen, die sie im Verlauf der Erzählung "erlebt" haben.

Was sind Ihre Lieblingsbücher und Lieblingsfilme, liebe Zuhörer*innen? Mit welchen Identifikationsfiguren haben Sie schon mitgefiebert? War das zeitweise Winnetou oder Old Schatterhand? Harry Potter oder Hermine? Vielleicht haben Sie schon mal die Erfahrung gemacht, wie beglückend es ist, wenn sich im Gespräch herausstellt, dass ein anderer Mensch das selbe Lieblingsbuch hat, oder den selben Lieblingsfilm. Es fühlt sich an, als hätte man etwas gemeinsam erlebt, obwohl die Lektüre zu ganz unterschiedlichen Zeiten stattgefunden hat, oder obwohl sie den Film in ganz unterschiedlichen Kinos gesehen haben. Gemeinsame Medien schaffen Zusammenhalt. Gemeinsame Erzählungen sind ein Verbindungsmittel für die Gesellschaft.

Vor diesem Hintergrund lesen wir die harte und schlimme Geschichte, wie Jesus verhaftet wurde, im Evangelium nach Lukas, Kapitel 22, Verse 47 bis 53: "... da kam eine Schar; und einer von den Zwölfen, der mit dem Namen Judas, ging vor ihnen her und nahte sich Jesus, um ihn zu küssen.  Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss?   Als aber, die um ihn waren, sahen, was geschehen würde, sprachen sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?   Und einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab.   Da sprach Jesus: Lasst ab! Nicht weiter! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn.   Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Ältesten, die zu ihm hergekommen waren: Ihr seid wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen ausgezogen?   Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis."

Es wird erzählt vom Verrat des Judas. Jesus ist die Identifikationsfigur. Er ist der Verratene. Die bittere Erfahrung des Verratenwerdens wird noch schlimmer, wenn es mit einem Kuss geschieht. Der Kuss, das körperliche Erleben von Nähe und Vertrautheit, das zärtliche Symbol der Liebe wird verkehrt, wird missbraucht, wird vergiftet und zum Zeichen des Verrats gemacht. Aus dem engsten Freundeskreis ist es einer, aus der Gruppe, die am Abend zuvor noch das gemeinsame Mahl vor dem Passafest gefeiert hatte, einer der nächsten Vertrauten ist es, der Jesus ausliefert an den Verhaftungstrupp. Mit dem Kuss wird Jesus markiert als das Ziel des Angriffes, als das Opfer des anrollenden Justizmordes. Eigentlich sträubt sich die Seele der Zuhörenden, sich hineinzugeben in so eine verletzende Geschichte. Es tut weh, sich zu identifizieren mit dem Opfer. In gewisser Weise werden uns auch die Ohren abgehauen, wie dem Knecht des Hohenpriesters in diesem Versuch der Gegenwehr. Spätestens mit der Heilung des Ohres stellt sich Jesus auf die Seite der Gewaltlosigkeit. Eine Identifikationsfigur im Leiden, in der Schwäche, ein Held auf der Verliererseite wird von den Zuhörenden meistens nur dann angenommen, wenn ein Happy-End in Aussicht gestellt wird, also wenn das Leiden nur vorübergehend sein soll. Viel lieber stellen sich die Menschen auf die Seite der Gewinner*innen, auf die Seite des Triumphs. Es erfordert viel Mut und Kraft der Seele, sich auf eine tragische Identifikationsfigur einzulassen.

Was sind wir, wir Christen, für eine Religion, die an ihren heiligen Orten, in ihren Kirchen an den auffälligsten Stellen das Bild eines Gekreuzigten aufhängt? Die Identifikation mit dem Opferlamm ist eine Zumutung. Das seelische Sichhineingeben in die Hauptrolle des Geopferten ist eine schwierige Übung. Die Fähigkeit aber, sich mit dem Opfer zu identifizieren ist das Fundament für die menschliche Kultur. Mitzufühlen mit den Ausgelieferten ist der Anfang der Mitmenschlichkeit.

Was machst du wenn du dazukommst, wie einer weinend auf dem Schulhof am Boden liegt, drum herum drei größere, stärkere Mitschüler, die auf den am Boden liegenden eintreten? Stellst du dich auf die Seite der Starken und Großen? Machst du mit beim Treten? Oder hast du den Mut Partei zu ergreifen für den am Bodenliegenden? Das Mitgefühl mit dem Opfer, heißt dessen Tragik mit zu erleben, heißt Partei ergreifen für alle, die Unrecht leiden, heißt Partei ergreifen für alle Opfer von Gestapo-Verhaftungs-Aktionen im Morgengrauen.

"Was ihr getan habt einem der Geringsten meiner Geschwister, das habt ihr mir getan". Diesen Maßstab des letzten Gerichts, den Jesus seinen Jünger*innen beigebracht hat, diesen Maßstab exerziert er hier an seiner eigenen Person durch. Seid ihr fähig euch mit den Opfern zu identifizieren? Gebt ihr euch hinein in diese Geschichte voller Tragik? Habt ihr soviel Gottvertrauen, dass ihr für die Opfer Partei ergreift, auch wenn die Erfolgs­aussichten erstmal gering sind. Es könnte sein, dass ihr eure Seelen­anteile aus dieser Geschichte nur mit Wunden und Narben zurück­bekommt. Das Happy-End, das erste Happy-End, dass Jesus auferstehen wird von den Toten, und das letzte Happy-End, dass Gott die Erde neu machen wird, als himmlisches Jerusalem, beide Happy-Ends sind nur Behauptungen der christlichen Religion. Wenn ihr euch aber NICHT hineingebt in diese Geschichte mit Christus, wenn ihr immer nur auf der Seite der Gewinner*innen stehen wollt, dann gewinnen die Skruperllosen, die Leute ohne Gewissen und ohne Mitgefühl, dann gewinnen die Bösen, Gestapo und Konsorten, dann versinkt die Welt in Krieg und Tyrannei.

Heißt das jetzt, dass wir als Geschichten Zuhörer*innen die Welt retten sollen? Eigentlich ist es ja umgekehrt: Jesus ist es der sich hinein gibt. Jesus identifiziert sich mit uns. Wir von der Gattung Homo sapiens, wir sind die tragischen Gestalten. Der Gottessohn gibt sich her, mitfühlend und mitleidend, in der tragischen Geschichte der Menschheit. Wir Menschen sind die Opfer, meistens unserer selbst. Wir sind die gnadenlosen Figuren der Lieblosigkeit und der Unbarmherzigkeit. Dauernd verraten wir unsere Mitgeschöpfe, dauernd lassen wir unseres Gleichen im Stich. Weil wir Feiglinge lieber auf der Seite der Sieger*innen stehen wollen, anstat auf der Seite der Wahrheit und der Liebe und der Barmherzigkeit. Christus gibt sich hinein in diese Tragik der Menschen und wird damit zum Heilmittel für unsere hoffnungslosen Unterwürfigkeiten, zum Korrekturmittel gegen unsere Irrwege. Wer sich verliert um Christi willen, der wird von Gott gefunden werden. Wer sich einlässt auf den Weg des Christus, bekommt Anteil an der Rettung, seiner eigenen und der aller Mitgeschöpfe.

Herzliche Grüße, Ihr Pfarrer
Harald Küstermann





Die Predigt steht zur Verfügung unter der Lizenz CC-BY-SA 4.0 int., das bedeutet: Kostenlose Weiterverwendung aber nur unter gleicher Lizenz und mit der Pflicht zur Namensnennung. Die Namensnennung muss lauten:
Harald Küstermann RoteSchnur.de



Weitere Dateien in diesem Ordner:

Apostelgeschichte_17_22-34_Das-Lachen-des-Brennus_Die-Lorica-des-Peregrinus.odt  (364 kb)


Apostelgeschichte_17_22-34_Das-Lachen-des-Brennus_Die-Lorica-des-Peregrinus.pdf  (697 kb)


Apostelgeschichte_17_22-34_Das-Lachen-des-Brennus_Die-Lorica-des-Peregrinus.php  (6 kb)


Dein-Weg-ist-Liebe-v1-mit-Refr.png  (66 kb)


Deuteronomium_8_7-18_Feigenbaum-und-Granatapfel_Erntedank-2022.pdf  (205 kb)


Deuteronomium_8_7-18_Feigenbaum_und_Granatapfel.pdf  (43 kb)


Deuteronomium_8_7-18_Feigenbaum_und_Granatapfel.php  (14 kb)


Erster_Johannes_4_16-21.pdf  (280 kb)


Erster_Johannes_4_16-21.php  (14 kb)


Erster_Korinther_15_12-28.php  (10 kb)


Erster_Korinther_15_Ostersonntag-2020.pdf  (31 kb)


Erster_Petrus_2_21-25_Misericordias-2020.php  (12 kb)


Erster_Petrus_5_1-4.php  (16 kb)


Erster_Samuel_3_1-10.pdf  (53 kb)


Erster_Samuel_3_1-10.php  (16 kb)


Erstes-Buch-Koenige-19_Okuli_2022.pdf  (440 kb)


Erstes-Buch-Koenige-19_Okuli_2022.php  (13 kb)


Evangelist_Lukas_Illumination_in_St_Chad_Gospel_circa_730_nChr_Manuscripts_of_Lichfield_Cathedral_ccbysa30.jpg  (2591 kb)


Evangelist_Lukas_Illumination_in_St_Chad_Gospel_circa_730_nChr_Manuscripts_of_Lichfield_Cathedral_ccbysa30_w700.jpg  (334 kb)


Evangelist_Lukas_Illumination_in_St_Chad_Gospel_circa_730_nChr_Manuscripts_of_Lichfield_Cathedral_ccbysa30_w900.jpg  (844 kb)


Exodus_14_Ostersonntag-2021.odt  (29 kb)


Exodus_14_Ostersonntag-2021.php  (9 kb)


Exodus_20_12_Predigtreihe-Dekalog-5_Vater-und-Mutter-ehren_02Aug2020.pdf  (243 kb)


Farbglaskunst-von-Gisela-Sternstein_DSCF7180-a11R.JPG  (179 kb)


Farbglaskunst-von-Gisela-Sternstein_DSCF7180-a13R_c.JPG  (318 kb)


Farbglaskunst-von-Gisela-Sternstein_DSCF7348.JPG  (104 kb)


Farbglaskunst-von-Gisela-Sternstein_Luki-2010mai-DSCF5655-a3R.JPG  (140 kb)


Genesis_32_23-32_Jakob-am-Jabbok_Versehrt-und-gesegnet.php  (11 kb)


Glueckstaumel-mit-Fahrbahnmarkierung_RoteSchnurde_mit-einem-Foto-von-Elia-Pellegrini_a1_w700.jpg  (128 kb)


Glueckstaumel-mit-Fahrbahnmarkierung_RoteSchnurde_mit-einem-Foto-von-Elia-Pellegrini_w1000.jpg  (1988 kb)


Granatapfel_Foto_von_Laura-Beutner_w800.jpg  (92 kb)


Gruendonnerstag-2021-Lutherkirche.jpg  (79 kb)


Hebraeer_13_12-14_Alpha-und-Omega_Aussenseiter.pdf  (47 kb)


In-den-Wassern_foto-von-gage-walker_w500.jpg  (83 kb)


Jesaja_40_26-31_Adlerfluegel_Quasimodogeniti_2020.php  (9 kb)


Jesaja_40_26-31_Quasimodogeniti_2020_Adlerfluegel.pdf  (45 kb)


Johannes_17_1-8_Palmsonntag-2022.php  (13 kb)


Johannes_21_1-14_Quasimodogeniti-2021.php  (10 kb)


Loewen-von-der-Alb-vom-Goebekli-von-Montbeliard_w500.jpg  (61 kb)


Lukas_22_47-53.php  (10 kb)


Markus_2_1-12_Durch-die-Decke.pdf  (44 kb)


Markus_2_1-12_Durch-die-Decke.php  (15 kb)


Markus_8_31-38_Krieg-und-Macht.pdf  (362 kb)


Markus_8_31-38_Krieg-und-Macht.php  (12 kb)


Markus_8_34-35_Friedensgebet.php  (11 kb)


Markus_8_34-35_Friedensgebet_Lutheraner-Mennoniten.pdf  (38 kb)


Matthaeus_21_Palmsonntag-2021.odt  (34 kb)


Matthaeus_21_Palmsonntag-2021.pdf  (20 kb)


Matthaeus_21_Palmsonntag-2021.php  (7 kb)


PALMSONNTAG_Der_ESELSREITER_w600.jpg  (254 kb)


Psalm_150.php  (15 kb)


Roemer_10_8-15_Niemand_knetet_uns_wieder.php  (19 kb)


Roemer_10_8-15_Predigt_Niemand.pdf  (299 kb)


Roemer_8_26-30_Das-unaussprechliche-Seufzen.php  (11 kb)


RoteSchnurDe_Pelikan-Foto-von-Birger-Strahl_w800.jpg  (167 kb)


Streetart-und-Foto_brandi-alexandra-Fluegel-der-Utopie_w700.jpg  (134 kb)


Zebra-von-Seth-Eisenberg-mit-Flamme-am-See_w700.jpg  (133 kb)


coronablaustil-pred.css  (7 kb)


schwerter-zu-pflugscharen_mennoniten-gemeinde-augsburg.png  (47 kb)