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Schriftzug Passah auf Rahab und die rote Schnur

Die Juden feiern Passah

Teil II Die Sichtbar­werdung international

Der jüdische Tempel auf der Nil-Insel Elephantine (410 ;v.Chr.)
Der griechische Geschichts­schreiber Hekataios von Abdera (ca. 320 v.Chr)
Die Landnahme als zweites Tabu der Gegen­geschichte
Das Alphabet ist die medien­technische Seite der jüdischen Religion
Die Septuaginta. Juden übersetzen ihre Tora ins Griechische (ca. 200 bis 250 v.Chr)

Der jüdische Tempel auf der Nil-Insel Elephantine (410 v.Chr.)

Durch Ausgrabungen auf der Fluss-Insel Elephantine im Nil, an der Südgrenze Ägyptens zu Nubien, ist bekannt, dass dort schon vor der persischen Eroberung Ägyptens durch Kambyses den Zweiten, also vor 525 v.Chr., in direkter Nachbarschaft zum ägyptischen Chnum-Tempel ein jüdischer JHW-Tempel (sic) existierte. Dieser wurde 410 v.Chr. von den Ägyptern zerstört und um die mit dieser Zerstörung zusammenhängenden Konflikte drehen sich einige der ausgegrabenen Papyrus-Dokumente.

Die Schreibung des Gottesnamens als "Jahu" (JHW) statt als "Jahwe" (JHWH) ist nur eine der Besonderheiten der jüdischen Gemeinde an der Südgrenze Ägyptens, aber dass es sich um eine jüdische Gemeinde handelt, die den Sabat und das Passah-Fest feierte, wird aus den Papyri eindeutig klar. Damit geriet die jüdische Religion und insbesondere das Passah-Fest in unleugbare Sichtweite der Ägypter. Wohl durch das Bündnis zwischen König Manasse von Juda und Pharao Psammetich I. war eine jüdische Garnison zur Verstärkung der ägyptischen etwa um 650 v.Chr. dort stationiert worden und hatte ihren JHW-Tempel erbaut.

Seit der persischen Besetzung Ägyptens stand die jüdische Garnison, eventuell gemeinsam mit phönizischen, syrischen und griechischen Einheiten im Dienste des Achaemeniden-Reiches. Die Dokumente sind großenteils in aramäischer Sprache. Eines der Dokumente enthält die Anweisung an den persische Statthalter in Ägypten, den jüdischen Tempel nicht anzutasten.

Die Zerstörung des jüdischen Tempels auf Elephantine ereignete sich dann etwas später, auf Anstiftung durch die Priesterschaft des ägyptischen Chnum-Tempels, während einer längeren Abwesenheit des persischen Statthalters. Als Ursache und Inhalt des Konflikts werden nur die Opfersitten benannt: Die Juden opfern Lämmer, den Ägyptern aber gilt diese Tierart als dem Widdergott Chnum geheiligt. Später wurden die Schuldigen an der Tempel-Zerstörung bestraft, das persische Reich ergriff also Partei für die jüdische Seite, auch der Wiederaufbau des Tempels wurde genehmigt, allerdings sollte der Tempelbetrieb ohne Tieropfer weitergeführt werden. Wahrscheinlich war das ein Zugeständnis der Perser an die ägyptischen Empfindlichkeiten und passte zugleich zur Kultzentralisation am Jerusalemer Tempel.

Durch die unmittelbare Nachbarschaft des JHW-Tempels wurden die Ägypter, insbesondere die ägyptische Priesterschaft, mit der Passah-Tradition der Juden und dem darin enthaltenen negativen Ägyptenbild konfrontiert. Dass unter den Elephantine-Papyri bisher keine Tora-Rolle gefunden wurde, ist kein Gegenargument, denn über die Passah-Feiern wird in den ausgegrabenen Schriftstücken sehr wohl kommuniziert. Die Präsenz des Rituals ist provokativer, als irgendeine Heilige Schrift, da sich damals die Religionen primär als Ritualisten verstanden, nicht als Literaten. Das Judentum als Buchreligion war etwas noch Unverstandenes. Die Neuartigkeit und die Tragkraft dieses Religionstyps traten auch erst später, nämlich nach dem Verlust des Jerusalemer Tempels vollumfänglich zu Tage.

"Die Ägypter waren nicht nur durch das Opfer (eines Lammes) beleidigt, sondern schon durch die Natur des Passahfestes selbst als Nachvollzug des Auszugs aus Ägypten. Was für die Juden ein Gedenken der Befreiung und des Sieges des Monotheismus über die Götzenanbetung war, stellte für die Ägypter eine anstößige Feier der Zerstörung Ägyptens und der Niederlage seiner Götter dar." so schreibt David Nirenberg. Antijudaismus. München 2015. S.30. Ob das damals schon Monotheismus war, ist eine umstrittene Frage, aber dass die ganze Passahfeier eine Provokation sein konnte, hat Nirenberg damit klar benannt.

Was ein schwelender bilateraler Konflikt zu sein schien, wird durch die Perser als Eroberer und neue Herren Ägyptens, zum Dreiecksverhältnis. Die unterlegenen Ägypter können sich gegen die persische Fremdherrschaft wenig wehren, aber sie können ihre Wut auf die von den Persern geschätzten Juden übertragen. Der vom persischen Statthalter geschützte jüdische Tempel auf Elephantine, wird während dessen Abwesenheit von den Ägyptern zerstört. Die jüdische Garnison auf der Nil-Insel wird zum Sündenbock, an dem sich die Einheimischen austoben.

Nirenberg zeichnet dieses Dreiecksverhältnis präzise nach und der damit beschriebene Sündenbock-Mechanismus ist wohl durch die ganze menschliche Kulturgeschichte bekannt als eine verheerende Verhaltensweise, mit der Gruppen und ganze Gesellschaften immer wieder zurückfallen auf das Niveau der Hackordnung, aber warum insbesondere die Juden durch Jahrtausende immer wieder bevorzugte Ziele des Sündenbockmechanismus werden, ist damit nicht erklärt. Nirenberg kommt der Bedeutung des Passah-Festes zwar näher, aber er belässt es auf der national-religiösen Ebene des Konflikts zwischen Chnum und JHWH. Ungenannt bleibt die soziale und wirtschaftliche Sprengkraft der Sklavenbefreiung als zentraler Inhalt der Exodus-Erzählung.

Die tierische Hackordnung ist nämlich das Staatskonzept der pharaonischen und der meisten anderen antiken Großreiche. Pyramidal wird die Gesellschaft aufgebaut, mit einer goldenen Spitze aus Alpha-Menschen und einem schmutzigen Sockel aus verachteten Omega-Menschen. Die mosaische Religion ist ein Angriff, nicht auf einen einzelnen Pharao oder ein einzelnes Imperium, sondern ein Angriff auf den fundamentalen Glauben, die pyramidale Staatsordnung sei auch die natürliche und unvermeidliche Weltordnung.

Der griechische Geschichtsschreiber Hekataios von Abdera (ca. 320 v.Chr)

Nach der Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen reisten griechische Geschichtsschreiber nach Ägypten und sammelten die dort bekannten Erzählungen über frühere Zeiten. Hekataios von Abdera ist so ein griechischer Geschichtsschreiber in Ägypten, wahrscheinlich im Auftrag von Ptolemaios dem Ersten. Der Grieche bekommt etwa 320 v.Chr. in Ägypten erzählt, dass vorzeiten eine pestartige Krankheit ausgebrochen sei und die Schuld daran hätten Viele den Fremden im Lande gegeben. Durch die ausländischen Riten und Opferformen sei die einheimische Götterverehrung vernachlässigt worden. Um den traditionellen Götterkult, das Wohlergehen des Landes und die Gesundheit seiner Bewohner wiederherzustellen, seien diese Fremden mitsamt ihrer krankheitsverursachenden Religion aus Ägypten vertrieben worden. Die Migration hinaus aus Ägypten wird von den Ägyptern als eine Vertreibung dargestellt. Kein Ausbruch von Sklaven habe stattgefunden, sondern Seuchenträger wurden verjagt. Hekataios ist damit der erste griechische Geschichtsschreiber, dem das Exodus-Narrativ begegnet, aber er kennt es eben nur in der Gestalt der ägyptischen Gegen-Geschichte, nicht im jüdischen Original.

Das ägyptische Vertuschungs-Bemühen, das Geschehen sei kein Ausbruch, sondern eine Vertreibung gewesen, und die Juden seien keine befreiten Sklaven, sondern hinausgestoßene Seuchenträger gewesen, funktioniert gegenüber der griechischen Neugier des Hekataios nur teilweise. Migration an sich ist in der griechischen Kultur keine Schande. Auswanderungen und Gründung von Kolonien betreiben die Griechen selber, wohl lange Zeit gesteuert durch die Informationszentrale des Orakels in Delphi, aber mit hoher Entscheidungsfreiheit der einzelnen Auswanderergruppen.

Dem Hekataios waren die Migranten aus Ägypten keineswegs verdächtig, sondern eher sympathisch. Er identifiziert sie sogar mit bestimmten Gruppen seiner Landsleute. Die Tüchtigsten und Angesehendsten dieser auswandernden Fremden hätten sich zusammengetan und sich in Griechenland angesiedelt, so schreibt er. Oder verknüpft er nur experimentell-spekulativ ägyptische mit griechischen Geschichten? Die große Menge der Ausgewanderten aber geriet, laut Hekataios, nach Judaea, unter der Führung eines herausragenden Menschen namens Mose. Und wo es dann um die Judäer geht, ist seine Wahrnehmung immer noch respektvoll, allerdings klingt auch die Kritik der Ägypter an Mose durch seine Darstellung: Mose hätte keine Götterbilder angefertigt, da er glaubte, dass Gott keine Menschengestalt habe.

Eine Ablehnung der tiergestaltigen ägyptischen Götter war den Griechen wohl einleuchtend, aber neben der teriomorphen auch noch die anthropomorphe Gottesdarstellung abzulehnen, das stellt die jüdische Religion besonders. Hekataios sieht also eine religiöse Spezifikation im Dreieck: Für die ägyptische Religion seien teriomorphe Götter kennzeichnend, die Griechen liebten ihre antropomorphen Gottesdarstellungen, die Juden lehnten alle Bildhaftigkeit Gottes ab, weil Gott der allesumfassende Himmel sei. Außerdem habe Mose gewisse Opferriten festgesetzt und eine Lebensweise, die sich fremdenfeindlich abgrenzte gegen alle anderen Völker. So die griechische Wiedergabe des ägyptischen Narrativs.

Das Thema Sklavenbefreiung kommt in der von Hekataios wiedergegebenen Erzählung nicht vor. Offensichtlich kannte er nicht die Exodus-Tradition Israels, sondern nur die ägyptische Gegen-Geschichte. Ob der griechische Respekt vor dem tüchtigen Mann Moses und seiner Migrantengruppe eine Verknüpfung mit dem kritischen Thema Sklavenbefreiung ausgehalten hätte, ist eine offene Frage. Das Sympathisieren der Griechen mit den Juden kam womöglich nur zustande, dank der erfolgreichen Tabuisierung des Sklaven-Themas durch die ägyptische Gegen-Geschichtsschreibung.

Die Ägypter hätten es als Schande empfunden, dass ihre Sklaven den Ausbruch geschafft hatten, deshalb kommt das in ihrer Geschichte nicht vor. Die Gefährlichkeit des Befreiungsgeschehens wird stattdessen ausgedrückt durch die Ansteckungsgefahr einer Seuche, die den Ausgewanderten angedichtet wird. Auch die angebliche Fremdenfeindlichkeit der jüdischen Religion gehört wohl zum Warn- und Abwehr-Instrumentarium der altägyptischen Propaganda. Haltet euch fern von den Juden, lasst euch bloß nicht anstecken von ihrer Geschichte und ihrer Religion, so ist die Botschaft aus Ägypten. Religion ist im Altertum keine Nebensache. In der Rede über religiöse Differenzen, spiegeln sich gesellschaftliche Unterschiede. Weltordnung und Gesellschaftsordnung werden kaum oder gar nicht unterschieden. In der abfälligen Erzählung über die Religion der Juden zeigt sich die Abwehr gegen ihre andersartige Gesellschaftsordnung.

Die Landnahme als zweites Tabu der Gegengeschichte

Auffällig sind die Stellen in der altägyptischen Gegengeschichte zum Exodus, in der die Gegend um Jerusalem ausdrücklich als "unbewohnt" beschrieben wird. Die aus Ägypten Vertriebenen hätten sich in einem menschenleeren Landstrich angesiedelt, da wo heute Jerusalem sei. Die Stadt Jerusalem war aber durch die Jahrtausende besiedelt. Es gab keine größeren Landstriche mit und um Jerusalem, die unbewohnt gewesen wären, leeres Land, Einöde, die nur so auf Besiedlung wartet.

Die betonte Behauptung, auf unbewohntem Land hätten sich die von Moyses angeführten Vertriebenen niedergelassen, wirkt fast wie eine Verdrängung, eine Vertuschung, so als wäre die Landnahme-Erzählung neben der vom Exodus eine weitere Wunde im Weltbild und Selbstbild der Pharaonen-Anhängerschaft. Eine bloße Migration aus Ägypten, ob selbstbestimmt oder als Vertreibung, wäre leichter zu verkraften gewesen, wenn die Migranten danach einfach in der Wüste verschwunden wären. Dass deren Nachfahren aber dort ganz frech in Jerusalem sitzen und ihre Geschichte erzählen, dass gehört zu den nicht heilen wollenden Verletzungen des pharaonischen Erbes.

Das Alphabet ist die medientechnische Seite der jüdischen Religion

Nicht bewusst war dem Hekataios allerdings, dass er sich schon längst angesteckt hatte mit einem weiteren Virus der jüdischen Kultur, nämlich dem Alphabet. Das Medium dessen Hekataios sich bediente, die griechische Alphabet-Schrift, war ein Abkömmling der althebräisch-phönizischen Schrift. Diese älteste Alphabet-Schrift der Welt hat den gesellschaftlichen Apparat, der zur Überlieferung einer Kultur benötigt wird, drastisch reduziert. Medientechnisch gesehen reicht die Idee "Ein Laut ist ein Zeichen", um den Pharao überflüssig zu machen.

Schon rund fünfhundert Jahre vor Hekataios war aus dem phönizischen das griechische Alphabet entwickelt worden und damit waren die Griechen bereits ein Teil der von den Juden ausgehenden Kulturrevolution, auch wenn sie die zugehörige Exodus-Geschichte zunächst noch nicht kannten. Bei den Phöniziern spielte das Alphabet nur die zweite Geige, sie hatten davor schon eine Version der Keilschrift im Gebrauch ihrer Seefahrts- und Handels-Kolonien. Auch bei den Griechen gab es vor dem Alphabet die Linear-B-Schrift, eine Silbenschrift mit ein paar hundert Zeichen. Der Durchbruch zum Alphabet half den Phöniziern zu einer längeren Widerstandskraft gegen die Vereinnahmung durch Großreiche. Den Griechen sicherte die alphabetische Kommunikation darüber hinaus eine kulturelle Blüte in Geschichtsschreibung, Dichtkunst und Philosophie mit weitem Einfluss auf den gesamten Raum des östlichen Mittelmeers. Kultur ist die langfristig wirksame Macht.

Beide Völkerschaften, phönizische und griechische, konnten mit ihren Alphabet-Schriften jahrhundertelang ihre Freiheit gegen die Imperien erhalten, wurden dann aber doch von den zentralisierten Militärapparaten überrannt. Versagte die Kraft des Alphabets gegen die Kraft der Waffen? Zumindest reicht das Alphabet alleine nicht aus, um eine Kultur der Freiheit zu erschaffen. Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.) steht trotz Alphabet auf der Seite der Sklavenhalter. Entgegen aller Aufklärungsgläubigkeit entsteht Freiheit nicht aus der Philosophie und Medienkritik ist nicht der alleinige und alles entscheidende Schlüssel zur Kulturgeschichte. Auf der anderen Seite führt die Schlachtenschläger-Geschichtsschreibung noch weit verheerender in die Irre. Die Triumphe der Unkultur (Waffen und Geld) können zwar viel entwerten, schaden und behindern, bleiben aber masturbative Akte am Wegesrand der Menschheitsgeschichte. Die Kultur ist das Terrain auf dem der Homo sapiens sich bewähren und zu sich selbst finden muss.

Das Medium des kulturellen Gedächtnisses hat heftigen Einfluss auf die Art der sich entwickelnden Kultur. Während die Großreiche mit hieroglyphischer Fassung ihres kulturellen Gedächtnisses auf einen großen Machtapparat angewiesen waren, kann eine Alphabet-Schrift auch von relativ kleinen oder dezentral organisierten Menschengruppen gepflegt und weitergegeben werden. Dieses neue Instrument der kulturellen Gedächtnisbildung ermöglicht es auch egalitären Gemeinschaften ein tradierbare Kultur mit einer eigenen Geschichtsschreibung zu erschaffen. Eine Hieroglyphen-Schrift umfasst tausende oder zigtausende von Zeichen und eine hochspezialisierte Priesterschaft mit jahrzehntelanger Ausbildung ist nötig, um eine hieroglyphische Kultur zu tradieren. Ein große Zahl von hauptberuflichen Schreibgelehrten muss unterhalten werden, um die Weitergabe des Wissens sicher zu stellen, zigtausende von Bauern müssen für die Versorgung dieser Schreiberhierarchien eingespannt werden und tausende von Soldaten deren Sicherung nach innen und außen gewährleisten. Ein Staatswesen der hieroglyphischen Art hat quasi automatisch einen Großkönig an der Spitze, der mit göttlichem Anspruch das Ganze - Staat und Welt - zusammenhalten muss. Die Idee "Ein-Laut-ist-ein-Zeichen" ist eine langfristig wirksame Revolution. Das Alphabet allein aber rettet nicht vor der Sklaverei. Auch der richtige Inhalt des kulturellen Gedächtnisses muss dabei sein, für eine nachhaltige Freiheitskultur.

Die Septuaginta. Juden übersetzen ihre Tora ins Griechische (ca. 200 bis 250 v.Chr)

In der Zeit von Ptolemaios dem Zweiten übersetzen die Juden ihre Tora ins Griechische. Die Septuaginta, die von legendären 72 Weisen vorgenommene, autorisierte Übersetzung der Tora, ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits werden damit die Vertuschungen und Verdrehungen der ägyptischen Gegen-Geschichten durchbrochen, das Original-Narrativ vom Exodus steht von nun an in der Allerweltssprache des östlichen Mittelmeerraumes dem lesenden Publikum zur Verfügung. Andererseits wird damit das höchstgefährliche Grundthema des Exodus für die ganze internationale Kulturwelt des Altertums lesbar: Der erfolgreiche Massenausbruch aus der Sklaverei. Viele goutieren das gar nicht.

Ob diese bewusste und provokante Veröffentlichung nur als eine interne Dienstleistung für die griechisch-sprechende jüdische Gemeinde in Alexandria gedacht war, oder auch als eine Reaktion auf das vom ägyptischen Priester Manetho noch einmal ausführlich niedergeschriebene Anti-Exodus-Narrativ, ist eine offene Frage. Auch die umgekehrte Reihenfolge wäre denkbar: Die Juden veröffentlichen ihr Heiliges Buch und provozieren damit Manetho zu einer neuen Ausgabe der ägyptischen counter-history. Wie auch immer: Als ein letztes Aufbäumen für die Ehre der Pharaonen und zur Verunglimpfung der entlaufenen Sklaven kann die Zusammenfassung der ägyptischen Gegengeschichte durch den Priester Manetho gelesen werden.

Manetho schreibt im Auftrag von Ptolemaios dem Zweiten, seine eigenen ägyptischen Quellen dürften wohl kaum bis in die damals schon rund tausend Jahre zurückliegenden Zeit des Auszugs zurückgereicht haben, und zwar aus dem Grunde, dass die pharaonische Erinnerungskultur solch schmähliche Ereignisse auf keinen Fall aufbewahren wollte. Altägyptische Geschichtsschreibung besteht aus der gleichförmigen Wiederkehr der Pharaonen, Generation für Generation. Wenn der Träger beider Kronen Oberägypten und Unterägypten vereinigt hat, dann sei die Welt in Ordnung, so glaubt diese Staatskultur. Jede Veränderung wäre eine Störung der Weltordnung, Chaos und Untergang. Von solchen Umbrüchen und Ausbrüchen will die altägyptische Kultur nichts wissen, außer vielleicht wenn die Turbulenzen bereits überstanden sind und die pharaonische Herrschaft wiederhergestellt ist. Ein Exodus der Sklaven gegen den Willen des Pharao konnte unmöglich stattgefunden haben, sonst wäre die Welt untergegangen und die Sonne hätte aufgehört zu scheinen.

Manetho hat also keine echte alte Quelle zum Exodus-Geschehen, sondern schreibt nur die Gegengeschichte weiter, mit der schon seine Vorgänger die Schmach des Exodus-Narratives zu übertönen und löschen versuchten. Aus der Sicht späterer Historiker vermischen sich in der ägyptischen counter-history gegen den Exodus mindestens drei historische Schichten: 1. Die Vertreibung der Hyksos (Hirtenkönige, alias Fremdherrscher) aus ihrer Hauptstadt Avaris im Nildelta. Diese gelungene Vertreibung von Fremdherrschern gehörte zum Ruhm der Pharaonen und wurde deshalb gerne gepflegt und tradiert. 2. Der eigentliche Exodus (Datierung umstritten) Moses gegen Pharao, wäre, wenn es ihn je gegeben hätte, traumatisch und müsste deshalb verdreht und zerstückelt werden. Und 3. Der dauernde Stachel im Fleisch aller pharaonisch organisierten Staaten: Es gibt da im Bergland von Israel eine blühende Kultur, die Passah feiert.

Das Passahfest im jüdischen JHW-Tempel auf der Nilinsel Elephantine direkt neben dem ägyptischen Chnum-Tempel, war nur die lokale Verschärfung der schwelenden Wunde in der Ehre der Pharaonen. Und weit über das bilaterale Verhältnis von Ägypten und Israel hinaus war der Exodus international eine schwelenden Wunde im Weltbild der Großreiche. Der Exodus ist eine Verhöhnung aller antiken Königsideologien. Nicht das kleine Völkchen auf den Bergen stellt die Bedrohung dar für die großen Imperien, sondern die Exodus-Erzählung könnte der Funke sein, der das Gebälk, aus dem alle Großreiche gezimmert sind, in Brand setzen könnte.

Die Septuaginta und drumherum der jüdische Hellenismus in der antiken Großstadt Alexandria waren Anfänge einer Internationalisierung des Exodus. Die Anpassungen an die Kulturen der Völker waren teilweise sicher auch Versuche der Juden, das kritische Potential ihrer Religion zu entschärfen, um sich selber aus der Gefahrenzone zu retten, die dieses Potential darstellte. Gleichzeitig aber war der Austausch mit den Völkern eine Ausbreitung dieser Freiheits-Saat in die Herzen und Hirne der nicht-jüdischen Mitmenschen.

Im Osten, in Mesopotamien und Persien gingen die Auseinandersetzungen mit dem Judentum eigene Wege. Im Westen bildeten zuerst die ägyptische und kanaanäische Kultur die Gegnerschaften zur jüdischen Sklavenbefreiungsreligion. Dann ging der Gärungsprozess weiter über die phönizischen, griechischen und schließlich römischen Staats- und Gesellschaftsformen.

Mit dem Erscheinen der Septuaginta stehen die Völker vor der Herausforderung, dass eine Gesellschaft ohne Sklaverei denkbar, fühlbar und lebbar sein könnte. Und damit sind sie anscheinend überfordert. Mit Manethos Sammlung von Judenhass und Judenverachtung haben die Überforderten die nötigen Ausreden und Abwehrreaktionen parat, um die Juden zum Sündenbock für die Überforderung und alle damit verbundenen Aggressionen zu machen. "Die Fabeln der Juden" ist die Standard-Bezeichnung mit der die Exodus-Erzählung belegt und niedergemacht wird.

Man stelle sich das Pulverfass vor, auf dem die Juden sitzen, die Betroffenheit der ganzen Menschheit, die Zukunftsfrage, um die alle Menschen im Clinch liegen: Alle ehrgeizige Energie, die zur Verbesserungen der je eigenen Position in der Hackordnung eingesetzt wurde, ist infrage gestellt, wenn die Hackordnung nicht das zukünftige Modell menschlicher Gesellschaft sein sollte. Alles Strampeln gegen die eigene soziale Deklassierung wäre vergeblich, wenn nicht nur die individuelle Rolle, sondern die ganze Klassifizierung aufgehoben würde. Aller Stolz darauf, nicht Sklave/ Sklavin zu sein, würde sich als schäbig entpuppen, wenn die Sklaven/Sklavinnen in die Freiheit zögen. Alles Dienern, alles Kriechen wäre unnütz und lächerlich, wenn es keine Herrschaften gäbe, die es zu umschmeicheln gälte.

Ein Gott auf der Seite der Sklaven, der diesen zur Befreiung verhilft, ist automatisch eine Verhöhnung aller herrschenden Götter. Alle Götter (m/w/d) der Herrschenden werden toben vor Wut und die Welt der Befreiten mit Unheil überfluten. Natürlich kann das nur ein irriger Wunschtraum sein, was die Juden mit ihrem Passahfest zelebrieren. Natürlich müssen die anständigen Realisten, die Diener der Macht, auf diesen Wunschtraum eindreschen, um ihm nicht zu verfallen.

Schriftzug Passah auf Rahab und die rote Schnur



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